Inklusion – der Gelsenkirchener Weg

… war der Titel einer Veranstaltung, die ich gestern besucht habe. Organisiert von der Stadtschulpflegschaft, als Vortragende Herr Südholt als zuständiger Mitarbeiter des Schulamts und Dr. Beck als zuständiger Dezernent.

Nach einem durchaus informativen Vortrag konnte dann das Publikum Fragen stellen. Und eins ist mir dabei wieder sehr deutlich geworden: Schulische Inklusion wird auf absehbare Zeit nicht funktionieren.

Das liegt nicht so sehr an „äusseren Umständen“ wie fehlenden Aufzügen oder nicht gebauten Integrationsräumen. Das ist ärgerlich, aber nicht der Kern des Problems.  Woran es wirklich hängt ist der gesellschaftliche Wille Inklusion zu betreiben.

Ich will nicht verhehlen: Ich halte unser Förderschulsystem für gut und erhaltenswert. Es wird gute Arbeit geleistet und Kinder mit Förderbedarf werden auch gut gefördert. Es wird aus meiner Sicht immer Kinder geben, die nicht sinnvoll im Gemeinsamen Lernen unterrichtet werden können. Das ist eine Realität, der wir uns stellen müssen. Aber es gehört auch zur Realität, dass es eben viele Kinder gibt, die problemlos im Gemeinsamen Lernen beschult werden könnten, wenn wir es denn wollten: Ungefähr die Hälfte der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarf sind dem Schwerpunkt „Lernen“ zugeordnet (http://www.tu-berlin.de/fileadmin/i49/dokumente/demmer-dieckmann/KMK.pdf). Nur Österreich kennt diesen Schwerpunkt auch, alle anderen europäischen Länder unterrichten dies schon immer inklusiv.

Drei Beiträge in der Diskussion waren charakteristisch für das eigentliche Problem:

  1. Herr Südholt hat aus seiner Zeit als Schulleiter einer Förderschule von vielen Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern berichtet, die alle in etwa gleich abliefen. „XXX, wie gehts Dir?“ „In der Schule ists gut Herr Südholt. Hier muss ich nicht den ganzen Tag Sachen machen die ich nicht kann sondern kann auch mal an die Werkbank/… gehen“ „Und ausserhalb der Schule?“ „Nicht so gut. Ich darf im Sportverein nicht mitmachen, werd nicht zu Kindergeburtstagen eingeladen usw.“.
  2. Eine Mutter hat vorgetragen, dass man mehr auf die Kinder hören sollte, wenn es um die Frage „Gemeinsames Lernen oder nicht?“ geht. Kinder mit Förderbedarf würden bei inklusiver Beschulung von den anderen gehänselt, weil sie weniger Leistung erbringen würden als die Regelkinder. Das sei ein Kontra für das Gemeiname Lernen und das müsse man seinem Kind mit Förderbedarf nicht antun.
  3. Ein Lehrer eines Gymnasiums erklärte, dass er dauerhafte Doppelbesetzung mit einem Sonderpädagogen für inklusiven Unterricht benötige, er könne ja nicht zwei verschiedene Leistungsstände in einer Klasse unterrichten.

Warum sind diese drei Beiträge so bemerkenswert? Weil sie am Kern des Problems kratzen. Die Gesellschaft als Ganzes muss sich auf Inklusion einlassen. Inklusion endet nicht am Ein- oder Ausgang der Schule. Und es spielt am Ende nur eine begrenzte Rolle, ob jemand an einer Förderschule oder im Gemeinsamen Lernen unterrichtet wurde, wenn er gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben kann. Das Stigma „Förderschule“, „Brettergymnasium“, „Doofenschule“ ist nur ein Symptom dafür, dass sich weite Teile der Gesellschaft nicht damit befassen wollen, dass Diversität nomal ist.

Sowohl die von Herrn Südholt als auch die von der Mutter beschriebene Situation entsteht nicht von selbst. Ja, Kinder sind manchmal fies, das sind sie und waren sie immer: Der eine ist doof, weil er schlechte Noten schreibt, die nächste ist eine Streberin, weil sie nur gute Noten schreibt, der dritte hat ne schiefe Nase und die vierte hat das falsche Handy. Das hat nichts mit dem Gemeinsamen Lernen zu tun. Aber wenn es in Mobbing ausartet, haben die Eltern versagt. Sie haben versagt darin, ihrem Kind beizubringen Rücksicht zu nehmen. Es sind nicht die Kinder, die mit zwei Jahren auf dem Spielplatz den Behinderten ausgrenzen, es sind die Eltern, die sagen „Geh da mal lieber nicht hin“. Und es sind nicht die Kinder, die in der Grundschule den Leistungsdruck produzieren, es sind die Eltern. Es sind die Eltern, die Ihrem Kind vermitteln „die, die eigentlich auf die Förderschule gehören bremsen Dich aus und nehmen Dir die Chancen“. Vielleicht wird das nicht immer so explizit ausgedrückt, in der Tendenz ist es so.

Und eigentlich ist auch die Aussage des Lehrers (und die seiner Kollegin, man müsse die eigenen Schülerinnen und Schüler ja auf das Abitur vorbereiten) das gleiche nur anders verpackt: Inklusion führt zur Vernachlässigung der Regelkinder. Dabei ist unterschiedliche Niveaus zu unterrichten an Gesamtschulen Täglichbrot, es geht also offensichtlich, wenn man denn will.

Es ist das, was wir als Erwachsene unseren Kindern vorleben, was Inklusion unmöglich macht. Wie berichtet waren wir ja in den Ferien im Urlaub in Dänemark. Da gab es einen gewaltigen Unterschied: Wir sind mit Noah regelmässig in den Supermarkt einkaufen gegangen, die Situation war neu und aufregend für ihn. Wie das dann so ist, hat er dabei auch lautiert, deutlich hörbar. Und trotzdem hat niemand schräg geguckt, niemand hat sein Kind weggezogen, oder einen grossen Bogen gemacht. Bei einem Besuch in einem Eisenzeit-Museum, in dem man sich dann auch passend verkleiden konnte, hat sich der Mitarbeiter wirklich bemüht, Noah in die Auswahl seiner Bekleidung einzubeziehen. Andersartigkeit wurde ganz offensichtlich akzeptiert. Von allen. Nach der Rückkehr wurde ich im Rewe (von den Kunden) leider wieder auf den Boden der Tatsachen geholt.

Und das Fazit? Ein Gesetz reicht nicht. Bei weitem nicht. Solange wir nicht aufhören alles zu sortieren und in Schubkästen zu Verpacken, werden wir keine Inklusion erreichen. Weder in der Schule, noch in der Gesellschaft.

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